Hochhäuser aus Holz erobern die Schweiz
Das neue Suurstoffi-Areal am Bahnhof Rotkreuz (ZG) liegt auf halbem Weg zwischen Luzern und Zug, rund 30 Zugminuten von Zürich entfernt. Was vor zehn Jahren noch eine alte Industriebrache war, ist heute ein zukunftsweisendes Quartier, an dem der Trend zum vertikalen Bauen mit Holz abzulesen ist. Wohnen, Arbeit, Studium und Freizeit werden hier in einem dynamischen und ökologischen Lebensraum vereint.
Initiator der Sanierung war die Immobiliengruppe Zug Estates. Die Bauträger setzten auf eine nachhaltige und zukunftsweisende Architektur, bei der insbesondere hochgeschossige Gebäude im Vordergrund standen. Auf dem Gelände entstanden gleich drei Hochhäuser, zwei davon in Holzbauweise. «Das gesamte Suurstoffi-Areal gilt mit seinem vorbildlichen Energiekonzept als wegweisendes Projekt. Die kombinierte Nutzung von Solarenergie (Photovoltaikflächen), dynamischen Erdspeichern und einem Anenergienetz bildet den Grundstein unserer Zero-Zero-Strategie. Wir wollen CO2-Neutralität und vollständige Energieautarkie erreichen», erklärt der Architekt.
Ein vertikaler Hingucker aus Holz
Wer sich vom Bahnhof aus dem Suurstoffi-Areal nähert, kommt nicht an der schlanken, vollverglasten Silhouette des Arbo-Turms vorbei. Die 15-stöckige und 60 Meter hohe Holz-Hybrid-Konstruktion sticht sofort ins Auge. Er ist eines von zwei Gebäuden, in denen der Campus der Hochschule Luzern (HSLU) untergebracht ist. Obwohl es nicht das höchste Haus am Platz ist – es wurde von einem imposanten 70-Meter-Hochhaus mit begrünter Fassade (dem Aglaya-Gartenhochhaus) übertroffen –, nimmt es eine strategische Position ein und dient sowohl als Eingangstor als auch als architektonischer Auftakt für den Besuch.
Mit der Holzbauweise kann die Bauzeit massiv verkürzt werden.
Der Bau wurde von zwei Planungsbüros, Manetsch Meyer und Büro Konstrukt, entworfen. Laut Lukas Meyer, Architekt bei Manetsch Meyer, entschied man sich in erster Linie aus ökologischen Gründen für Holz. Das verwendete Baumaterial stammt grösstenteils aus der Schweiz und ist im Gegensatz zu Beton, dessen Herstellung energieintensiv und mit hohem CO2-Ausstoss verbunden ist, ein nachwachsender Rohstoff: Er wächst ohne zusätzliche Energiezufuhr, emittiert keinerlei Schadstoffe und ist gleichzeitig eine hervorragende Kohlenstoffsenke. Während seines Wachstums bindet er durch Photosynthese das CO2 aus der Atmosphäre und speichert es auch nach seiner Verwendung als Baustoff.
Ein 14-stöckiger «Leuchtturm»
Malley Phare – dessen Bau 2022 begann und im Juli 2024 vom Einsturz eines Baugerüsts mit drei Todesopfern überschattet wurde – wird das erste Holz-Hybrid-Hochhaus in der Westschweiz mit einer aktiven Photovoltaik-Fassade sein. Für den Bau dieses 60 m hohen Gebäudes werden 2000 m3 Holz benötigt, das fast ausschliesslich aus der Schweiz stammt.
Das Projekt wurde vom Planungsbüro CCHE im Auftrag der SUVA, der Eigentümerin des Einkaufszentrums Malley Lumières, entwickelt. Ziel ist die Errichtung eines vierzehnstöckigen Erweiterungsbaus über dem westlichen Teil des bestehenden Einkaufszentrums. Das neue Gebäude wird Wohnungen mit Gemeinschaftsräumen beherbergen: «Joker»-, Coworking– und Home-Office-Räume sowie eine Rooftop-Bar. Das Quartier Malley Viaduc trägt das Label «2000-Watt-Areal» und die neue Erweiterung Malley Phare erfüllt das Minergie-Eco-Label.
Hybridbauweise
Auch die zeitlichen Vorgaben des Bauherrn sprachen für eine Holzkonstruktion. «Wir hatten nur sehr wenig Zeit für den Bau. Zwischen dem Gewinn der Ausschreibung im Jahr 2016 und der Übergabe des Objekts 2019 lagen nur drei Jahre. Auch wenn die Holzbauweise grundsätzlich mehr Planungszeit erfordert, kann die Bauzeit massiv verkürzt werden», betont der Architekt. Eine schnellere Montage auf der Baustelle, ein sehr zügiger Rohbau und ein Innenausbau ohne trocknungsbedingte Wartezeiten sind nur einige der Vorteile dieser Konstruktionstechnik. Auch finanziell bringt die rasche Ausführung Vorteile – bessere Planbarkeit, kürzere Bauphase, weniger Mietausfälle – und das, obwohl die tatsächlichen Kosten in der Regel höher sind.
Gemessen am gesamten Bauvolumen sind grossflächige Holzbauten noch in der Minderheit.
Das HSLU-Hochhaus ist genau genommen eine Hybridkonstruktion, da hier Beton mit Holz kombiniert wurde. Die Deckenelemente bestehen aus zwei Holzrippen und einem Betonfertigteil. Sie erstrecken sich in Längsrichtung vom Gebäudekern aus massivem Beton bis zur Fassade, wo sie auf Holzbalken aufliegen. Hochhäuser kommen auch heute noch nicht ohne Stahl und Beton aus: «Für bestimmte Elemente ist der Einsatz von Beton nach wie vor sinnvoll», betont Lukas Meyer. Der Architekt setzt jedes Material dort ein, wo es seine Vorteile am besten ausspielen kann.
Wettlauf der Superlative
Überall in der Schweiz entstehen im Rahmen innovativer Projekte Hochhäuser aus Holz, die sich gegenseitig mit Superlativen überbieten: In Winterthur wird derzeit das 100 Meter hohe «Rocket», das höchste in Holzbauweise errichtete Wohn-Hochhaus der Schweiz, gebaut. In Zug ist ein 80 Meter hoher Wohnturm (Pi-Hochhaus) – das nunmehr zweithöchste Holz-Hybrid-Hochhaus – geplant, während das Bauprojekt Malley-Phare in Lausanne neuen Wohnraum schafft. Die 60-Meter-Holzkonstruktion soll mit einer aktiven Photovoltaik-Fassade ausgestattet werden (siehe Kasten). Ein Novum in der Schweiz.
«Das Bauen mit Holz aus Gründen der Nachhaltigkeit und des ökologischen Mehrwerts erhöht die öffentliche Akzeptanz von Bauprojekten und verringert mögliche Widerstände, insbesondere bei Bauwerken ab 30 Metern Höhe», argumentiert der Architekt. «Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass öffentliche, aber auch immer mehr institutionelle Bauträger in ihren Ausschreibungen das Bauen mit Holz oder Hybridmaterialien vorschreiben. Es gibt also durchaus einen Trend in diese Richtung, von einem Boom zu sprechen, halte ich aber für übertrieben. Gemessen am gesamten Bauvolumen sind grossflächige Holzbauten noch in der Minderheit», relativiert Lukas Meyer.
Eine Branche im Wandel
Verbesserte Baustoffe und eine weniger restriktive Brandschutznorm für Holz haben dem Holz-Hybrid-Hochhaus in der Schweiz zu einem Aufschwung verholfen. Laut Lignum, der Dachorganisation der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft, schränken die heutigen gesetzlichen Anforderungen den Einsatz von Holzbauteilen nicht mehr ein. Bauwerke jeder Höhe und für jede Nutzung können heute mit diesem Baumaterial realisiert werden.
Technisch gesehen vereinen so genannte Holz-Beton-Verbunddecken, wie sie im Arbo-Hochhaus in der Suurstoffi verbaut sind, die Vorteile beider Baustoffe: die Zugfestigkeit von Holz und die hohe Druckfestigkeit von Beton. Dadurch kann das Gewicht der Decke und damit das Betonvolumen für die Fundamente reduziert werden.
Eine weitere Innovation ist das Brettsperrholz (BSP) aus mehreren senkrecht zueinander angeordneten Holzschichten, die zu tragenden Platten verleimt werden. Es weist eine mit Beton vergleichbare Festigkeit auf und ist besonders feuerbeständig.
Furnierschichtholz (LVL) spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Es besteht aus dünnen Furnierschichten, die nicht rechtwinklig, sondern parallel zueinander verleimt werden. Der Werkstoff zeichnet sich durch eine hohe mechanische Festigkeit aus und ist leichter als Beton. Die Entwicklung eines Furnierschichtholzes (LVL) aus Buchenholz wird es zukünftig ermöglichen, Hochhäuser mit einem Kern aus Holz statt aus Beton zu konstruieren.
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