Im Feuerring lassen die heiligen Flammen die Zeit stillstehen
Ein Tempel aus Holz und Rost am Ufer des Zugersees, nüchtern und imposant zugleich. Als einzige Vestalin wacht ein schwarz gewandeter Metallpriester über eine hohe Flamme.
Sie nimmt in einer Schale Gestalt an und erleuchtet diese zeitgenössische Arche. Lockenkopf, Lederweste, beringte Finger und Augen wie gebläuter Stahl.
Vor der Rigi aufgewachsen
«Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung», sagte einst Leonardo da Vinci. Und Andreas Reichlin zählt zu den Menschen, die solche Grundsätze konsequent verfolgen.
Der Schwyzer ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Künstler. Wie kaum ein anderer bearbeitet er den Stahl und strebt dabei nach einer schlichten und zugleich reduzierten Schönheit.
Das Kochen auf Feuer regt zu Begegnungen und Gesprächen an.
Die Geschichte beginnt 2005. Auf einem dieser grossen Sandsteinblöcke, die in das ruhige Wasser des Sees hineinragen, richtet der schwarz gekleidete Mann seine erste Feuerstätte ein.
Er ist in dieser hügeligen Landschaft vor der imposanten Silhouette des Rigi aufgewachsen. Gewitter toben hier mit der Kraft eines zornigen Riesen. «Seit ich denken kann, wollte ich Künstler werden», bemerkt Andreas Reichlin.
Für die Ewigkeit
Er sitzt auf einem Stahlkubus aus dreifach gefaltetem Blech und blickt dabei gedankenverloren über die grauen Fluten. Der gelernte Holzbildhauer experimentierte mit unterschiedlichen Werkstoffen und stiess schliesslich auf Stahl. Dieser liess ihn nicht mehr los. Und schon damals schuf er daraus oftmals monumentale, raue und zugleich elegante Werke.
Mit funkelnden Augen greift Andreas Reichlin nach einem langen Holzscheit und tritt zu einer Schale. Er holt aus. Und trifft mit gezieltem Schlag die innere Kante des Feuerrings. Ein tiefer Ton, der einen in der Erde verankert, steigt auf. Er vibriert in der Morgenluft und beginnt in Wellen zu schwingen, ohne etwas von seiner Klarheit einzubüssen.
Der erste Feuerring des Schwyzers entstand aus dem Wunsch heraus, eine Skulptur für den Garten zu schaffen, auf der sich Nahrungsmittel gesund zubereiten lassen.
«Auf einem herkömmlichen Grill tropft das Fett in die Glut und erzeugt schädliche Dämpfe. Ich habe nach einer sanfteren Garmethode gesucht.» Jeder Feuerring, den er in seinem Atelier entwickelt, steht direkt auf der Erde und ist eine Hommage an das ursprüngliche Feuer, das kollektive Konzept einer nahezu sakralen Handlung, ein Plädoyer für die Schlichtheit und die Kunst, sich Zeit zu nehmen.
Bis zwei Meter Breite
«Es ist ein Kreis, aber auch Teil einer Kugel», erklärt der Siebenundfünfzigjährige. Er greift nach einem Stift mit dicker Mine und zeichnet auf einen Block die bereits so oft hergestellte Form.
«Stell dir eine Stahlkugel vor. Jetzt schneidest du sie in zwei Hälften, und zwar auf einem Drittel ihrer Höhe. Auf diese Weise konnte ich eine so ausgewogene Form kreieren.»
Geschützt
«Luna», «Ovum», «Tulip», «D» oder «Luna Grande»: fünf Modelle mit fünf unter- schiedlichen Formen, insgesamt zwanzig verschiedene Formate. Das Feuerring-Sortiment ist im Laufe der Jahre gewachsen, um Räume optimal zu gestalten. Das Objekt rief aber rasch Fälscher auf den Plan. Beate und Andreas träumen davon, dass der Feuerring zu einem Klassiker wird. Ein Meilenstein auf diesem Weg war die Bestätigung des Urheberrechts durch das Bundesgericht im Jahr 2022. Heute ist der Feuerring ebenso patent- und urheberrechtlich geschützt wie der legendäre Lounge Chair von Charles und Raye Eames, der LC2-Sessel von Le Corbusier oder der Barhocker von Max Bill.
Der Feuerring wurde mit mehreren internationalen Design-Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem begehrten Red Dot Award. Er ist in 20 unterschiedlichen Formen und Grössen erhältlich, von einem Meter Breite bis zwei Metern Breite. Inzwischen wird er von einem Unternehmen in Küssnacht hergestellt und in die ganze Welt exportiert.
Das Objekt stellt zwar eine Investition dar, aber seine Flamme wird noch viele Generationen lang leuchten können. «Der Feuerring wird uns überleben», verkündet Andreas Reichlin.
«Er ist praktisch unverwüstlich: ein «Luna Grande» kann tausend Jahre lang Geschichten erzählen. Deshalb möchte ich immer Fotos von seinem künftigen Einsatzort sehen. Der Raum gibt vor, welcher Feuerring der richtige ist.»
Archaische und kreative Erfahrung
Es riecht nach Rauch und die brennenden Holzscheite knistern. Beate Hoyer, die Lebensgefährtin von Andreas Reichlin, träufelt Öl auf den Stahlring und verteilt Pilze und Lauch darauf. Sie werden langsam garen.
Gemeinsam mit Freunden oder Köchen, von denen viele den Feuerring (siehe Kasten unten) nutzen, veröffentlichen Beate und Andreas Kochbücher. Unermüdlich testen sie die unterschiedlichsten Garmethoden.
«In der Schale kann sogar Brot gebacken werden», flüstert sie. «Das Kochen auf Feuer regt zu Begegnungen und Gesprächen an», fügt Andreas Reichlin hinzu.
Der Tanz der Flammen
«Mit Freunden rund um den Feuerring zu sitzen, die Glut zu schüren, zu sehen, wie die Flammen tanzen, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, um mit der Zubereitung einer Mahlzeit zu beginnen, sei es ein einfaches Gericht oder ein Gourmet-Menü, ist ein einzigartiges Gemeinschaftserlebnis, das uns zu unseren archaischen Wurzeln zurückführt und die Kreativität anregt.»
Ein zarter Sonnenstrahl zaubert ein Glitzern auf den Zugersee. Das Gericht auf der Stahlskulptur ist fertig. Schaffelle auf Metallhockern, Teller, die herumgereicht werden: Rund um den vom Feuer geschwärzten Ring bleibt die Zeit stehen.
Sterne auf dem Feuerring
Mehrere Sterneköche arbeiten täglich mit den Werken von Andreas Reichlin. Der berühmteste von ihnen ist wohl Stefan Wiesner, der Hexer vom Entlebuch. Er erhielt 17 Gault-Millau-Punkte und ist für seine wilden Gourmet-Menüs berühmt. Die Zutaten dafür findet er in den Wäldern des Kantons Luzern. Dieser moderne Alchimist kocht – vom Torf bis zur Zirbennadel – mit überraschenden Zutaten und meist über Feuer. Aber auch der Zürcher Chris Züger oder die Köchin Rebecca Clopath, die in ihrem Geburtsort in Graubünden einen Bauernhof und ein Sterne-Restaurant betreibt, zählen dazu.
Envie de partager cet article ?