«Die Schweiz ist ein fruchtbarer Boden für die Entwicklung nachhaltiger Technologien»

Cleantech, saubere Technologien, die unsere Lebensweise nachhaltiger machen sollen, erlebt einen beispiellosen Boom. Laura Schwery, Ökonomin und Cluster and Partners Relation Manager bei CleantechAlps, weist auf die zentrale Rolle hin, die die Schweiz in diesem Zusammenhang spielt, und auf die Ansätze, die zu verfolgen sind, um die Fortschritte zu beschleunigen.
1 mai 2025 Clément Grandjean
© Aurélie Gasser

Beginnen wir bei den Grundlagen: Wie lässt sich der Begriff Cleantech und was er beinhaltet erklären?

Der Begriff Cleantech beinhaltet Techno logien, Produkte und Dienstleistungen, die auf eine nachhaltige Nutzung der Res sourcen abzielen und die Produktion er neuerbarer Energien ermöglichen. Sie sollen die natürlichen Systeme schonen und vor allem eine Haltung, Gewohnhei ten und eine Lebenskunst widerspiegeln, die Einzelpersonen und Unternehmen aller Branchen dazu bringen sollen, ins gesamt ressourcenschonend zu handeln.

Welche Rolle spielt CleantechAlps in diesem Zusammenhang?

CleantechAlps soll den Rollout von Inno vationen, die die Dekarbonisierung der Gesellschaft zum Ziel haben, sowie die Entwicklung der Gesellschaft hin zu noch mehr Nachhaltigkeit beschleuni gen. CleantechAlps ist die interkantonale Plattform zur Förderung von Nachhaltig keit und Cleantech in der Westschweiz. Sie wurde 2010 auf Initiative der West schweizer Kantone ins Leben gerufen.

Was sind derzeit die grossen Heraus forderungen im Bereich Cleantech?

Wir werden gerade Zeuge einer regel rechten Revolution, die den Übergang von der alten zu einer neuen Welt kenn zeichnet, und das in einem eher unbe ständigen Umfeld. Die Unternehmen se hen sich beispiellosen Herausforderun gen gegenüber, wie beispielsweise der Krisenanfälligkeit von Lieferketten. Die Resilienz von Unternehmen, also die Fä higkeit, solchen Turbulenzen die Stirn zu bieten, galt früher als unternehmerische Tugend und ist inzwischen zu einer dringenden Notwendigkeit geworden. Was Cleantech anbelangt, so gibt es be reits zahlreiche Lösungen, die uns den Übergang von einer CO2-lastigen Welt hin zu einer nachhaltigeren Welt ermögli chen, die auf erneuerbaren Energien basiert.

Über 600 Cleantech Start-ups entwickeln ihre Ideen und Technologien in der Schweiz.

Von welcher Art Lösungen sprechen wir hier?

Die Lösungen betreffen alle Aspekte un serer Gesellschaft. Bei der Mobilität sind dies beispielsweise die schnellen, effizi enten und emissionsfreien Tragflügel boote von MobyFly. Sie bieten eine effek tive und kostengünstige Alternative zum Massenverkehr. Bei der Abfallverwertung denke ich an DePoly. Dieses Unterneh men hat ein Recyclingverfahren entwi ckelt, mit dem sich PET-Abfälle in Roh stoffe von neuwertiger Qualität umwandeln lassen. Das hat ihm den ersten Platz bei den Top100 Swiss Startup Awards eingebracht.

Ist die Schweiz im Bereich Cleantech ein fruchtbarer Boden?

Unser letzter Bericht hat gezeigt, dass über 600 Cleantech-Start-ups ihre Ideen und Technologien in der Schweiz entwi ckeln. Gut 90 % der seit dem Jahr 2000 gezählten Start-ups bestehen auch heute noch, was auf eine geringe Konkursrate hindeutet. Die Schweiz ist also in der Tat ein fruchtbarer Boden. Das lässt sich ins besondere durch die in der Schweiz um gesetzte Förderung von Jungunterneh mern erklären. Im ganzen Land wurden Gründerzentren geschaffen, die die Ent wicklung von Unternehmen fördern. Hierzu zählen der Campus Energypolis und die Stiftung The Ark in Sitten, die Blue Factory in Freiburg und auch der EPFL Innovation Park (EIP) in Ecublens (VD). Es ist eine breite Palette an Unterstüt zungsangeboten entstanden, wie etwa das Start-up-Coaching, aber auch Pro gramme zur Beschleunigung und zur Schulung zum Unternehmertum, Ideen wettbewerbe oder Investorenforen. Ko f inanzierungsinstrumente wurden eben falls ausgebaut, insbesondere über das BFE und das BAFU. Die Stärke der Schweiz besteht in der gut zwanzigjährigen Kon tinuität dieses Konzepts. Allerdings wer den diese Instrumente derzeit vom Chef des UVEK Albert Rösti in Frage gestellt und das ist besorgniserregend. Diese un verständliche Bremse könnte die aktuelle Dynamik stark beeinträchtigen.

Die Finanzierung als grösste Herausforderung

Neue saubere Technologien zu entwickeln ist kostspielig. Folglich nennen 59 % der Cleantech-Start-ups die Finan zierung als grösste Herausforderung. Es stehen zwei Finanzierungsquellen zur Verfügung. Da sind zunächst die öffentlichen Mittel, die die Technologien reifen las sen (wie bei den Pilotprogrammen des Bundesamts für Energie). Diese sind dann Türöffner für weitere private Finanzierungen, was in den meisten Fällen über Investi tionsfonds läuft.

Welches Gewicht hat die Westschweiz gegenüber dem deutschsprachigen Teil? Gibt es im Bereich Cleantech einen Röstigraben?

Es gibt eigentlich keinen Röstigraben. Dennoch ist die Start-up-Dichte pro Kopf in der Westschweiz überdurchschnittlich hoch, insbesondere in den Kantonen Waadt und Wallis. Das erklärt sich durch die starke Innovationspolitik, die den Schwerpunkt insbesondere auf Förder programme für wegbereitende Anlagen und Pilotprojekte gesetzt hat.

Wie vollzieht sich der Technologietrans fer von der Forschung zu marktreifen Cleantech-Lösungen in der Schweiz?

Hier lassen sich hauptsächlich zwei Fälle beobachten. Der erste: Ein Wissenschaft ler beschliesst, die von ihm in seiner Master- oder Doktorarbeit entwickelte Technologie zu vermarkten. In diesem Fall vollzieht sich der Transfer automa tisch durch den Projektträger. Ein ande rer Fall ist der, dass ein Projektträger an ein Institut herantritt, das über die Ex pertise verfügt, die ihm zur Entwicklung seiner Technologie fehlt. Dann entwi ckelt sich eine enge Zusammenarbeit, um den Wissenstransfer zu gewährleis ten. In beiden Fällen wurde damit aber erst die halbe Wegstrecke zurückgelegt. Der zweite Teil besteht in der Produkt industrialisierung. Dieser Teil erfordert häufig eine Zusammenarbeit mit Indus trieunternehmen, die diesen Aspekt beherrschen.

Wo wir gerade von der Industrie sprechen: Verfügt die Schweiz über alle Stärken, um neue Lösungen in grossem Massstab zu produzieren?

Die Schweizer Expertise im Bereich Mikrotechnik und Präzisionstechnik in Kombination mit den hier ansässigen grossen Unternehmen wie ABB, Lonza, Nestlé, Syngenta oder Roche und einer Kultur der Exzellenz fördert die Indust rialisierung neuer Lösungen. Allerdings steht die Schweiz bei der Produktion in grossem Massstab vor mehreren Heraus forderungen. Da sind zum einen die ho hen Kosten, eine fehlende Infrastruktur für die Massenproduktion, Schwierigkei ten bei der schnellen Beschaffung von Mitteln sowie eine Abhängigkeit im Be reich Rohstoffe und ausländische Kom ponenten, was insbesondere seltene Me talle und Silizium betrifft. Die Schweiz ist herausragend bei Forschung und Ent wicklung sowie auf Nischenmärkten.

Der nationale Markt ist zu klein, um die Entwicklung der Akteure allein zu gewährleisten.

Für eine Entwicklung in grossem Stil muss der Bekanntheitsgrad erhöht werden. Können sich die Schweizer Cleantech-Unternehmen gut verkaufen?

In einer Zeit der Krisen und Haushalts kürzungen von Nachhaltigkeit zu spre chen, ist keine einfache Angelegenheit. Die Klimaerwärmung und ihre Auswir kungen, beispielsweise die Naturkata- strophen, die wir in letzter Zeit erlebt haben, etwa das Unwetter in La Chaux de-Fonds, die schweren Hochwasser an der Morges oder der Rhône oder auch die Murgänge im Val de Bagnes unter streichen die Notwendigkeit, Massnah men zu ergreifen. Mit Cleantech lassen sich diese Massnahmen umsetzen. Und in diesem Sinne verstehen sie es gut, sich zu verkaufen, obwohl wir erst am Anfang ihrer breiten Umsetzung stehen.

Welche Anpassungen wären erforder lich, um diese Umsetzung zu beschleu nigen, beispielsweise im Zusammen hang mit den rechtlichen Rahmenbedingungen?

Die für den Übergang bewilligten Gel der, insbesondere für Projekte kurz vor der industriellen Produktion, unmittel bar vor der Markteinführung, sind ganz klar unzureichend. Eine Lösung könnte sein, die Höhe der Förderprogramme heraufzusetzen, sie zu bündeln und in einigen grossen Programmen zu verwal ten. Gleichzeitig müssten die Zutei lungskriterien vereinfacht werden. Lei der tut der Bundesrat derzeit das genaue Gegenteil. Das im Januar gestartete Ver nehmlassungsverfahren zu Ausgaben kürzungen impliziert die Streichung praktisch aller Förderprogramme, insbesondere jener für Projekte kurz vor der Marktreife. Und genau das ist das fehlende Glied bei der Finanzierung in der Schweiz!

Welche Argumente kann die Schweiz im Zusammenhang mit der Konkurrenz der Tech-Giganten vorbringen, um sich einen Platz auf dem hochumkämpften Markt zu sichern?

Wir bei CleantechAlps gehen davon aus, dass der nationale Markt zu klein ist, um die Entwicklung der Schweizer Akteure allein zu gewährleisten. Er ist nur eine erste Etappe bei der Entwicklung des Sek tors und soll als Sprungbrett dienen, um die Tore zum internationalen Markt zu öffnen. Auch wenn die Schweiz viele Vor teile bietet, um diesen Markt zu erreichen, muss sie mehr Fahrt aufnehmen und sich besser abstimmen.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. In welchen Bereichen sehen Sie das grösste Potenzial der Schweiz?

Die Schweiz ist dafür bekannt, dass sich unter ihren KMU echte Goldschätze ver bergen. Sie werden als «hidden champi ons» bezeichnet, denn sie sind der Schweizer Öffentlichkeit unbekannt, aber dennoch Weltmarktführer in ihrem Be reich. Bei den Cleantech-Unternehmen ist das ähnlich. Wir haben praktisch in je dem Bereich Marktführer, ohne aber von einer Marktführerschaft auf einem be stimmten Gebiet sprechen zu können. Wenn ich unbedingt zwei herausragende Bereiche nennen muss, dann würde ich die Agrotechnologie und die nachhaltige Chemie nennen.

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